Lebende Legenden

Die Wirkung dieses Bildes ist trotz seiner Schlichtheit gewaltig – nicht nur auf Fußballromantiker. Otto Gruber während seiner aktiven Karriere irgendwann in den 70ern. Er wird zur Passkontrolle gerufen und dabei geknipst.

Der SSV Eggenfelden feiert heuer 100-Jähriges. Zwei, die dieses Jahrhundert geprägt haben, sind Otto Gruber und Gerhard Heinze – jeweils auf ihre eigene Art und Weise

Wenn Otto Gruber gebraucht wird, ist er da – natürlich. Und in dieser Funktion hat der 69-Jährige in jüngster Vergangenheit bereits das ein oder andere Mal dafür gesorgt, dass der SSV Eggenfelden nach der Halbzeitpause die jeweilige Partie doch noch in die richtigen Bahnen lenken konnte – und das, obwohl er im Gegensatz zu früher nicht mehr selbst auf dem Platz dafür sorgen kann. Nach Ende der ersten Halbzeit jeder Bezirksliga-Partie eilt die Vereinslegende zu Trainer Marcel Thallinger, teilt ihm seine Meinung zum bisherigen Auftreten des SSV mit. Eine Vorgehensweise, die von allen Beteiligten so gewünscht ist – und auch zum Ritual und Talisman geworden ist. Eine Vorgehensweise, die gleichzeitig die Wertigkeit des Urgesteins beim ehemaligen Beziroberligisten unterstreicht.

„Otto hat in Folge seiner Lebens- und Spielerfahrung eine eigene, sehr interessante Sichtweise auf eine Partie. Wir möchten seine Meinung in unseren Matchplan integrieren, weshalb er mit mir in den Halbzeitenpausen immer kurz spricht. Warum sollen wir auf einen derartigen Erfahrungsschatz nicht zurückgreifen, wenn er uns praktisch vor den Füßen liegt?“, erklärt der 34-Jährige Aufstiegscoach in spe dazu.

Der SSV Eggenfelden feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen. Derartige Jubiläumsjahre werden von Vereinen gerne genutzt, um in den Archiven zu stöbern. Längst vergessen Geschichten kommen dabei genauso ans Tageslicht wie einstige verdiente Persönlichkeiten. Diesen wird dann während der Festlichkeiten eine Urkunde in die Hand gedrückt, ehe sie wieder im Schatten der Gegenwart verschwinden. Nicht so beim Rottaler Traditionsverein. Dort gehören Helden wie eben Otto Gruber zum Alltag. Sie sind mittendrin statt nur (am Rande) dabei. „Mit unseren Legenden sind wir im regen Austausch“, berichtet der Sportliche Leiter Joe Stinglhammer. „Sie haben immer einen guten Rat parat, der nicht nur irgendwelche Parolen beinhaltet, sondern wirklichen Inhalt, der uns weiterhilft.“

Gerhard Heinze in Aktion – auch wenn es nur ein Nostalgiespiel nach seinem Karriereende mit dem SSV Eggenfelden ist.

Grubers Tipps sind nicht irgendwelche abgedroschenen Binsenweisheiten, sondern basierend auf einer schier unglaublichen Erfahrung wertvolle und individuelle Anregungen. Mehrere hundert Spiele hat der 69-Jährige für den SSV Eggenfelden zwischen 1960 und 1981 bestritten. In dieser Zeit hat er viele Höhen, aber auch Tiefen mit dem „V“, wie der Verein in seinem Umkreis genannt wird, miterlebt. Er war dabei, als die Rottaler in die A-Klasse (heutige Kreisliga) runter mussten, also viele gute Kicker wie Hansi Weiß oder Rudi Hannakampf den Verein verließen, aber auch wie der SSV in die damalige Bezirksliga zurückkehrte.

Bis auf einen kleinen Abstecher zum Stadtteil-Verein FC Kirchberg blieb er bis heute seiner großen Liebe treu, sprang sogar als Interims-Trainer in Bezirksoberliga-Zeiten ein. „Der SSV ist nach der Familie und Beruf alles für mich“, versucht er für seine Verbundenheit Worte zu finden. In guten wie in schlechten Zeiten – hat Otto Gruber nicht nur seiner Frau geschworen, sondern auch seinem Klub. Diese bedingungslose Liebe war es auch, die seinen wohl größten sportlichen Schmerz etwas linderte. 1969 hatte der Postbeamte bereits einen Vertrag bei Bundesligist Stuttgart unterschrieben. Ein schwerer Autounfall verhinderte allerdings seinen Schritt ins Profitum. „Das war schon sehr bitter“, blickt der einstige Spielmacher heute zurück. „Aber es hilft nichts. Es ist so, wie es ist.“

Otto Gruber ist die Art und Vereinslegende, die praktisch allgegenwärtig ist – und das seit Jahrzehnten. Der hat sich seine Meriten durch stetige Anwesenheit verdient. Eine andere Art von Legende stellt Gerhard Heinze dar. Auch der 71-Jährige hat als Jugendlicher viele Spieler für den SSV bestritten – u.a. mit Otto Gruber als Teamkollegen. Einen Namen machte sich der frühere Klassekeeper aber außerhalb der Landkreisgrenzen – als Bundesliga-Keeper von Stuttgart und Duisburg. Er trug Eggenfelden hinaus in die weite Fußballwelt und kam so zu seinem Heldenstatus im Rottal.

In den späten 60ern und in den 70ern gehörte Heinze zu den besten Torhütern Deutschlands. Er absolvierte knapp 400 Spiele in der bundesweiten Eliteliga, eine Karriere in der Nationalmannschaft verhinderte lediglich die seinerzeit starke Konkurrenz in Person von Sepp Maier (Bayern München) und Wolfgang Kleff (Gladbach). „Es war eine sehr schöne, wenn auch nicht mit heute vergleichbare Zeit damals“, blickt der 71-Jährige zurück. Über die A-Jugend des SSV und die Bayernauswahl landete er bei den Schwaben, ehe er nach Meiderich weiterzog.

Eggenfeldens lebende Legenden: Otto Gruber (links) und Gerhard Heinze.

Seine Wurzeln vergass er dabei nie, auch wenn der bairische Dialekt etwas abhanden gekommen ist und er nach seiner Karriere zunächst als Tennislehrer durch Deutschland tingelte. Erst vor vier Jahren kehrte er endgültig in seine Heimat zurück. „Ich habe mich Schritt für Schritt ins Rottal zurückgearbeitet“, erzählt er und schmunzelt. Denn SSV verfolgt er natürlich weiterhin, aber eher passiver Natur. Vom Fußballgeschäft hat er sich nämlich generell immer mehr verabschiedet. „Ich habe knapp 30 Jahre alles diesem Sport untergeordnet – das reicht.“

Der damalige Profizirkus sei mit der heutigen Unterhaltungsmaschinerie Bundesliga überhaupt nicht mehr zu vergleichen, wie Gerhard Heinze feststellt – und auf die neuen Stadien, das immer größer werdenden Fanlager und die steigenden Gehälter eingeht. Diese Weiterentwicklungen sei aber nicht störend. Im Gegenteil. „Alles in allem würde ich heute gerne Profi sein“, macht Heinze deutlich und gibt damit indirekt zu, dass ihn das Fußballfieber noch nicht komplett verlassen hat.

Früher war alles besser – Gerhard Heinze und Otto Gruber leben eben nicht nach dieser Maxime, die ihre Generation immer wieder gebetsmühlenartig betont. Die beiden Eggenfeldener Legenden wissen sehr wohl frühere Zeiten zu schätzen, sind aber auch Neuem gegenüber aufgeschlossen. Der Ball rollt weiter – und wird das auch noch lange tun. Das, was Heinze und Gruber geleistet haben, bleibt allerdings für immer. Und die nächste Halbzeitanalyse folgt bestimmt…

Quelle: Helmut Weigerstorfer / fupa.net

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